Quelle: "Aus Rübezahls Heimat" Jahrgang 1951

Ei a Öwrkolwa

von Alois Tippelt, Regensburg

Die erhabensten und gewaltigsten Eindrücke bot das Riesengebirge unzweifelhaft in seinen Partien zwischen Schneekoppe und Elbfall; doch wer kannte die vielen weniger großartigen, dafür aber anders schönen Gebirgswanderungen? So ließ an klaren Tagen das Blickfeld von der Schneekoppe gegen Osten die Ostsudeten in ihrer ganzen Schönheit und Mächtigkeit erkennen. Wer jemals eine Kammwanderung von der Schneekoppe zum 1000 m hohen Rehorn unternahm, wurde wahrlich nicht enttäuscht. Im Gegenteil, eine solche Wanderung bot eine derartige Fülle stiller echter Riesengebirgsherrlichkeit, die jedem unvergeßlich bleiben mußte. Vom Fuß des Schneekoppenkegels gen Osten weiteten sich herrliche Knieholzgefilde aus, die schier unerschöpflich schienen. Hatte man den Steilhang der Schwarzkoppe hinter sich, grüßten auch schon die freundlichen Grenzbauden, die im Sommer wie im Winter tausende bergesuchender Menschen anlockten. Von den Grenz- oder Tippeltbauden führte bereits ein gutgepflegter Kammweg nach Kleinaupa, einer Perle des Riesengebirges, umkränzt mit soviel Riesengebirgszauber, dass man sich nur ungern wieder verabschiedete. Noch ein Stück Kammwanderung und uns nahm ein stark mit Flechten verwachsener Hochwald auf. Doch am Kolbenkamm wurde das Holz wieder niedriger, und kaum gedacht, stand man vor einer stattlichen Baude, der Kolbenkammbaude und der Schubertbaude. Nicht von dem sonst so gewohnten Riesengebirgstreiben war hier zu finden, nein eine wohltuende Ruhe und Beschaulichkeit zwang hier den Wanderer zu längerem Verweilen.



Eine Oberkolbener und Oberalbendorfer Jägergruppe.

Die "Öwrkolwa" [1] – so hieß das subalpine Bild um die Kolbenkammbaude – ermöglichten den Blick weit nach Süden und Osten. Im Süden grüßte die massige, so recht in die Landschaft passende "alte Marschendorfer Kirche" und noch weiter der "Freiheiter Pilz". Die "Öwrkolwa" waren durch ganz Marschendorf zu sehen und oft wenn im Aupatal noch die Blätter fielen, trugen die letzten Häuser am Kolbenbach schon ein winterliches Gewand; für uns Kinder immer ein überaus freudiges und aufregendes Ereignis. Im Osten schlängelte sich zur 1000 m hohen Maxhütte die Gemeinde "Dörrengrund" sowie die Ausläufer des Rehorns an das Riesengebirge. Rings um die Öwrkolwa weitete sich mittlerer Mischwald, den im Osten die Albendorfer Felder und im Westen der Kolbenkamm abgrenzten. Am Südabhang der Kolbenkammbaude fand man ein Stück urwüchsiges Riesengebirgsland, das bis in die jüngste Gegenwart von jeder Übermodernisierung verschont geblieben war. Die Baude hieß nicht zufällig "die stille . .", dass ein Schwarm sangesfreudiger Kammwanderer hier kurz Einkehr hielt oder dass Sonntagsausflügler von hüben und drüben auf einige Stunden Bergfreuden und Erholung suchten. Besitzer Kneifel hatte sich wahrlich ein schönes Fleckchen ausgesucht, als er seine Kammbaude vor 2 Jahrzehnten an die Quellen des Kolbenbaches erbaute. Um die Baude herum standen die Gebirgshäuser von Trübenecker (Kosper Seff), Bönsch (Bortl Seff) und Zosel und eine halbe Wegstunde am Bach entlang die Luftschenke (Sagasser). Diese netten Riesengebirgshäuser hatten uralte Traditionen bewahrt. Was hier der karge Boden gab, reichte kaum zum Leben, verschweige zu einem Verdienste; zusätzliche Tagelöhnerarbeiten in den Albendorfer Kalkbrüchen oder auf der Marschendorfer Herrschaft waren unerläßlich. Doch die große Naturverbundenheit dieser Menschen hatte sie mehr als zufrieden und glücklich gemacht, wenn auch jahrein, jahraus das Leben in den letzten Jahrzehnten dort oben beschwerlicher geworden war. Über die kurzen Sommermonate trieben schon in aller Früh Austreiber das Vieh auf die würzigen Weiden mit lautem „Ho-naus, Ho-naus-Ho". Das bunte Schellengeläute war dann über den ganzen Tag vielerorts zu hören, und erst wenn die Sonne hinter dem Langenberg zur Ruhe gegangen war, trieben sie wieder das liebe Vieh mit "Ho-nei, Ho-nei, Ho-" zurück in die Stallungen. Noch zur späten Abendstunde spielte von irgendwoher eine Ziehharmonika vertraute Gebirglerweisen wie das Lied von "den Kirschen in Nachbarsgarten" vom "Seff blei do – –" oder "Ei dam kühla Bronna" und andere; dazu sangen die "Made", während drin in den Häuschen die Mütter auf umgekehrten Tellern selbstzubereiteten Quark zu "Kaslan" [2] bzw. "Quarglan" schlugen. Am nächsten Morgen trugen sie die kostbare Ware in großen Buckelkörben zu Plechatscha oder Häringa nach Albendorf. – War der Sommer dahin, dann holten die Häusler dicke Reisigbündel und belegten damit ihre Hauswände, denn der Winter war manchmal über Nacht schnell da.



Die Schubertbaude.

Doch ehe es zuschneite, kam noch einmal Leben in diese stille Riesengebirgsecke. So an manchen Sonntagen, doch auch wochentags, hörte man frohes Jagdtreiben in den herbstlichen Waldungen. Wald und Heide um den Kolbenkamm waren so ein kleines Königreich unserer Jäger. Die erlegte Beute war bei weitem nicht das ausschlaggebende, und es kam gar nicht so selten vor, dass die ganze "Jort" leer ausging. Rollten einige Hasen, war man zufrieden, wurden einige Rehe erlegt, war man sehr zufrieden und war vielleicht gar einmal ein Hirsch zur Strecke gebracht worden, dann war das ein Ereignis für Jahrzehnte. Nur die Freude am althergebrachten edlen Weidwerke vereinte die Jäger, und ganz egal welchen Verlauf die Triebe nahmen, man fand sich dann gern zu froher Runde in der Kolbenkamm- oder Schubertbaude. Wie schön es dann in ihrer Jägerwalhalla war, das werden vielleicht die Riesengebirgsjäger uns im Heimatbriefe einmal selber erzählen.



Feuerwehrfest in Oberkolbendorf.

Zeitig kam der Winter, manchmal mit viel Sturm und Kälte, doch Rübezahl hielt seine schützende Hand über sein Stückchen Naturschutzgebiet am oberen Kolbenbach. Der zunehmende Wintersport rührte sich bereits auch auf dem Kolbenkamm, und wenn am unteren Kolbenbach und um den Lattenstein schon die Schneeglöckchen und die Bienchen dem Frühling zujubelten, dann waren die Weiden um die Kolbenkammbaude noch lange weiß.

Die stille Baude hart an der Grenze besuchten vor 1938 viele gewiegte Pascher. Freilich musste man sehr vorsichtig sein, denn die Herren Finanzer steckten meist in trefflichen Tarnkleidern. Nach verbürgten Meinungen sollen aber in der Baude nicht selten Grenzjäger und schwarze Grenzgänger in schönster Eintracht um den Tisch gesessen sein, beide in einem biederen Zivil und beide mit "biederen Absichten". – In den letzten Wochen vor dem Zusammenbruch erhielten die beiden Bauden nochmals unheimlich viele Gäste. Doch wer waren diese? Unsere gehetzten, wirr umherirrenden Soldaten, darunter viele aus den heutigen Westgebieten, die der Gefangennahme zu entfliehen suchten. Die Bleibe war freilich eine sehr kurze. – Neben den Riesengebirgsvertriebenen denken heut auch viele Einheimische an die beiden stillen Bauden am Kolbenkamm in dankbarer Erinnerung zurück.


[1] Oberkolbendorf
[2] HandkKäs eine Käseprodukt

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