Wem wäre wohl unser lieber Heimatort
Marschendorf IV nicht noch in guter Erinnerung, sei es in Bezug auf seine bekannte
Sauberkeit, oder auch auf die dort herrschende Gemütlichkeit und das gesellschaftliche
Leben?
Wenn wir in vorhergehenden Nummern unseres Heimatblattes z. B. von meinem Freunde
Hans Dix geschilderte "Jagdgeschichten" lesen, aus denen so recht
der herbe und drastische Witz hervorleuchtet, so kann man sich leicht vorstellen,
wie urgemütlich es zuging, wenn sich des Öfteren eine ganze Gesellschaft, bestehend
aus lauter solchen Pflanzen, traf. Wer denkt dabei nicht an alte, liebe Gesichter,
die gern einen Spaß mitmachten, wie Frika Hannes, Bezirksrichter Böhm, Lieb
Franz, Schlesinger Richard, Hoffmann Seff, Krause Lehrer (dem absolut kein Tropfen
Alkohol beizubringen war), natürlich fehlte Dix Hans nie dabei und noch so mancher
aus unserer "Donnerstagsrunde".
Nach so einem Donnerstagabend konnte man am frühen Morgen bei manchem Hause
Poltern und Fluchen hören, wenn einer oder der andere nicht aus seinem Haus
raus konnte und erst die Barrikaden vor der Haustür weggeräumt werden mussten,
oder wenn ein Friseuraushängeschild oder eine Firmentafel gesucht wurde, die
man endlich irgendwo bei einem Fleischer, an der Schlacht aufgemacht, vorfand.
Einige dieser Brüder voran unsere Ärzteschaft hatten es sich zur
Aufgabe gemacht, aus meinem Blumengarten die dort aufgestellten Zwergfiguren
zu sammeln, ihnen eine Schnur um den Hals zu binden, und am Morgen wunderte
ich mich nicht wenig, dass alle Vorübergehenden zu meinen Fenstern im 1. Stock
hinaufsahen, wo die Zwerge schön aufgehängt baumelten. Dass mein Verdacht gleich
auf unseren lieben Primarius mit seinen Gesellen fiel, ist nicht zu wundern,
und ich brütete Rache. In der nächsten Nacht hörte ich wieder Geräusche, man
war wieder am Werk. Ich beobachtete hinter der Fenstergardine, wie man unten
eine Pyramide aufbaute, obenauf unser lieber Ferbass, der die Figuren befestigen
sollte. Plötzlich stieß ich das Fenster auf, und ein Guss von oben brachte die
mühsam aufgebaute Pyramide ins Wanken.
Noch eine lustige Episode möchte ich hier schildern: Wieder mal an einem solchen
Donnerstagabend sitzt beim "Pepp" eine gemütliche Gesellschaft, und
unsere Wirtin, die "Schanni", bemüht sich, dass ja keiner Durst leidet.
In ziemlich vorgerückter Stunde macht sich einer doch auf und wackelt übers
Bruneckerbergl seinem nahen Heim zu. Der Weg ist heute anstrengend, aber unser
Franz schaffts, und glücklich darüber hält er sich an der Tonne fest, die zum
Auffangen des Traufenwassers vor dem Hause aufgestellt ist. Aber mit des Geschickes
Mächten . . . kurz, die gerade leere Tonne kippt um, Franz verliert das Gleichgewicht
und kommt mit dem Oberkörper gerade ins Fass zu liegen, das sich auch schon
in Bewegung setzt, und mit Schwung geht es den soeben mühsam erklommenen Weg
zurück, über die Straße hinweg und landet wieder vor dem Gasthaus, das er vor
kaum einer Viertelstunde verlassen hatte.
Von der zurückgebliebenen Runde mit "Hallo" empfangen, setzt sich
unser Franz wieder nieder, und in seinem unübertrefflichen Witz meint er: "Es
hat halt nicht sollen sein Schanni, bring mr ock noch a Bier."
Auf dem Bezirksgericht in Marschendorf
IV herrscht große Aufregung. Gendarmerie läuft geschäftig ein und aus, gilt
es doch der Vorbereitung einer gerichtlichen Kommission nach Nieder-Kolbendorf.
Laut einer schriftlichen anonymen Anzeige bei dem Gericht beschäftigen sich
in Kolbendorf die beiden Inwohner Johann Wagner (bekannter unter dem Spitznamen
"Ferdahannes") und sein Nachbar Klose mit der Herstellung von Banknoten.
Ja, die Anzeige enthielt sogar einige aufschlussreiche Einzelheiten. Der eine
von den Geldfälschern mache angeblich die blaue, der andere bedrucke die rote
Seite. Das Notenpapier stamme aus der Eichmannschen Papierfabrik, und die Druckerpresse
sei im Düngerhaufen vergraben. Bei so vielen näheren Details musste es daher
ein leichtes sein, die Verbrecher unschädlich zu machen.
So zieht denn eines Tages in den frühen Morgenstunden ein merkwürdiges Aufgebot,
bestehend aus dem Bezirksrichter U. .. und einer tapferen bewaffneten Schar
von Gendarmen gegen Kolbendorf. Die Häuser der verdächtigen Personen werden
umstellt, und eine hochnotpeinliche Hausdurchsuchung soll das Fälschermaterial
zutage fördern und damit die Verbrecher überführen. Doch davon ist auch nicht
die geringste Spur aufzufinden. Somit bleibt der hohen Behörde nichts anderes
übrig, als die Druckerpresse in den Düngerhaufen zu suchen. Einige der Gendarmen
vertauschen ihre geladenen Dienstspritzen mit der Mistgabel und beginnen nun
mit gemischten Gefühlen in dem ersten qualmenden Misthausen Schichte um Schichte
abzudecken. Lächelnde Zuschauer werden in gebührendem Abstande von der geleerten
Grube gehalten. Aber der Erfolg der schwitzenden Goldgräber blieb aus. (So ähnlich
wird es auch im Jahre 1945/46 den tschechischen Schatzgräbern aufs neue ergangen
sein.) Zögernd und nervös wird nun auch der zweite Düngerhaufen des Nachbarn
derselben übelriechenden Prozedur unterzogen. Langsam dämmert bei dem neuerlichen
Misserfolg in den Hirnen der geehrten Kommission die Einsicht, dass sie einem
gerissenen Witzbold zum Opfer gefallen sei, der sicher verschmitzt schmunzelnd
den Anstrengungen der Behörde aus der Ferne zuschaute. Da blieb nun nichts anderes
mehr übrig, als den kostbaren Inhalt der Düngergruben wieder einzufüllen und
dieselben in den alten Zustand zu versetzen. Auch die nun folgenden eifrigen
Nachforschungen nach dem mutmaßlichen anonymen Briefschreiber blieben wie die
Entlarvung der Geldfälscher ohne jeden Erfolg.
In ganz Kolbendorf war man sich jedoch über die Person des Spottvogels vollkommen
im klaren. Wer aber unter den Lesern seine Neugierde gern befriedigen möchte,
der gebe sich keine Mühe, denn er wird es kaum erfahren.
So stand es gedruckt auf allen Einladungskarten,
die zwei Vereinsmänner in Uniform nebst Paradehelm, Spitzhacke und Gürtel von
Haus zu Haus trugen und die Inwohner durch witziges Zureden zum bestimmten Erscheinen
aufmunterten. Ja, der alljährlich stattfindende Feuerwehrball in der guten alten
österreichischen Zeit, wo es noch ein richtiges 18grädiges Malzbier gab, hatte
in Albendorf seine große Tradition. Abwechselnd im Nieder- bzw. im Oberdorfe
abgehalten, dauerte dieser stets seine zwei, manchmal auch drei Tage, und kein
Amtsmensch hätte es wagen dürfen, etwa eine Sperrstunde anzusetzen.
Herr Albert Plechatsch, der jahrzehntelange diensteifrige Feuerwehrkommandant
von Albendorf, verstand sich nicht nur ausgezeichnet auf das Kommandieren seiner
Wehr beim Üben und im gefahrvollen Einsatz, sondern er war auch Großmeister
im Veranstalten von zünftigen Lustbarkeiten.
Der äußerst tüchtige und sparsame Gastwirt Schwantner, der also im Jahre 1907
von der Generalversammlung der Wehr die Order für den fälligen Faschingsball
erhalten hatte, ging mit Feuereifer an die notwendigen Vorbereitungen heran,
denn es winkte ein gutes Geschäft. Der geräumige Saal wurde mit breitlangen,
bunten Girlanden dekoriert, allerlei Wappen und Ehrenurkunden verdienter Wehrmänner
zierten die Wände, mehrere große Fässer Bier nebst Branntwein standen im Keller
zum Löschen der zu erwarteten Brände bereit, die Wirtin buk ellenlange Striezel
und dicke Buchteln, und das mehrzentrige Hausschwein musste Thoma-Bauer aus
"a Öwrkolwa" (aus Oberkolbendorf) schlachten, da dessen Metzgerkunst
weit und breit gesucht war.
Die meisten der Eingeladenen waren schon erschienen, als die Blechmusik punkt
8 Uhr mit einem schmetternden Marsch den Ball eröffnete. Eine Stunde später
war der ganze Ballsaal zum Bersten voll. Junge und alte Paare drehten und schwitzten
einen Walzer und Polka nach dem anderen, Maskeraden und bunte Angebinde wirbelten
von Hand zu Hand, und Herrn Schwantner, der die Bedienung der vielen Gäste allein
zu bewältigen hatte, wuchs die Arbeit über den Kopf, dauernd musste er mit leeren
und vollen Gläsern die Kellertreppe ab und auf traben, denn damals gab es noch
keine zum Bierausschank führenden Druckpiepen.
So ging es bunt wirbelnd bis zur Mitternachtspause zu. Erschöpft setzten sich
jetzt die Tänzer an die Tische, und weil sich mittlerweile ein beißender Hunger
eingestellt hatte, rief alles nach Braten, Sauerkraut, Brot und Salz. Herr Schwantner
tischte auf, was er vorbereitet hatte, nur mit den Hausleberwürsten wollte er
aus unerklärlichen Gründen nicht herausrücken. Das war aber in den Augen vieler
Wehrleute eine unverzeihliche Unterschlagung, die gesühnt werden musste. Die
drei anwesenden "Steiger" Jeschke Seff, Kühna Schmied und Flögel-Schneider
steckten die Köpfe zusammen und "beriefen" sofort einen mehrgliedrigen
Untersuchungsausschuss, dessen Aufgabe es war, den Lagerungsplatz der vorenthaltenen
Würste ausfindig zu machen. Das war für die drei geübten Steiger nicht allzu
schwer, denn das Suchen und Retten von "Wertsachen" gehört mit zum
Übungsprogramm einer jeden Feuerwehr. Nach getaner Arbeit wurde im Einvernehmen
mit dem Kommandanten ein Plan ausgeheckt, der in den frühen Morgenstunden zur
Ausführung kommen sollte.
Man tanzte und "löschte" nach der Pause zügig weiter. Etwa um die
fünfte Morgenstunde leerte sich der Saal, da viele der Gäste in die Stallungen
zum Füttern gehen mussten. Nur die in den "Vergeltungsplan" eingeweihten
blieben sitzen, rückten die Tische zusammen und täuschten den andern eine unbekümmerte
Vergnüglichkeit vor. Während die Runde Herrn Schwantner mit unschuldvollster
Miene dauernd durch kleine und kleinste Bestellungen in Anspruch nahm, machten
sich die drei Exekutoren an ihre Stoßtrupparbeit. Das "Unternehmen"
gelang ohne die geringste Störung und ohne geringstes Aufsehen.
Heimlich wurden die erbeuteten Würste unter Deckung in das Häringhaus geschafft,
wo selbe bald in einer großen Bratpfanne schmorten. Frau Häring, die Peitzkomüllerin
sowie die für jeden Spaß zu habende und stets fidele Kühnaschmiedin sorgten
für reichliche Zutaten, kochten eine große Bulle starken schwarzen Kaffee, opferten
die besten Striezel, und zwischen 7 8 Uhr wurden durch "Kurier"
die harrenden Männer im Saale verständigt. "Essen fertig, vergattert euch!"
kommandierte Plechatsch Bert. Im Nu formierten sich die Aufgerufenen auf der
Straße zu einem Zug, und mit der Musik voran ging es mit festem Schritt und
Tritt nach Häringa. Im Handumdrehen war die große Stube bombenvoll. Während
sich die Männer an den vorzüglichst gebratenen Hauswürsten nicht genug satt
essen konnten, schmetterte die Musik in der Stube einen Marsch nach dem andern,
so dass die Fensterscheiben nur so klirrten. Zum Glück war in nächster Nähe
Tippelt Vinzas Gasthaus, wo die Abgespeisten ihren neu entstandenen Durst reichlich
wieder löschen konnten, und es war schon später Vormittag, als die Gratisfrühstücker
zurück in den Ballsaal marschierten.
Herr Schwantner kam natürlich bald hinter den ganzen Dreh. Im Stillen mag er
wohl die Übeltäter verdonnert haben, aber was blieb ihm anders übrig, als zu
der ganzen Geschichte gute Miene zu machen, wollte er zum Schaden nicht noch
den Spott haben. Aber zu Schaden kam der Geprellte nicht, denn die löbliche
Vereinskasse machte selben wieder mehr als gut, so dass sich Herr Schwantner
zum Schluss noch genötigt sah, den tapferen Steigern ein Extra-Fassl "Achtzehngrädiges"
zu spendieren. So nahm auch der Ondroffer Feuerwehrball anno 1907 seinen gewohnten
fröhlichen Ausklang.
Heute sind die meisten Feuerwehrmänner nebst ihren Frauen jener unbeschwerten
Jahre längst nicht mehr, und sie müssten keine braven, rechtschaffenden Riesengebirgler
gewesen sein, wenn sie nicht Petrus zufrieden lächelnd am Himmelstore empfangen
hätte.