von Johann Miksch, gräflicher Oberförster in Pension - Marschendorf
Vor dem stattlichen Pfarrgebäude
in Marschendorf, auf dem Platze, wo die Kirchwege von Nieder- und von Ober-Marschendorf
sich vereinigen und von wo aus ein breiter, steiler Stiegengang zum Friedhofe
und zu der schön gelegenen Kirche hinaufführt, steht eine majestätische
Linde, wie deren heutzutage nur wenige mehr existieren. Ich entschloss mich
deshalb den Baumriesen zu messen und seinen kubischen Inhalt zu berechnen und
hoffe des Interesses der geehrten Leser dieser Blätter sicher zu sein,
wenn ich nachstehend die gefundenen Resultate zur Mittheilung bringe.
Der in Mannshöhe gemessene Umfang des Lindenstammes beträgt 5,15
m/, was einen Durchmesser von 1,64 m ergibt. Die Länge des Stammes von
den Wurzeln bis zur Ausbreitung der 6 starken Aeste der Krone misst 7,90 m/,
die Höhe der Krone 20,54 m/, somit beträgt die Gesamthöhe der
Linde 28,44 m/. Die 6 starken Aeste haben einen Durchmesser von beiläufig
je 35 c/m Nach dem Gesagten beträgt die Holzmasse des Stammkörpers
8,75, jene der 6 starken Aeste 9,24 und die des abgeschätzten schwachen
Ast- und Reisholzes 6, im ganzen daher 23,99 Festmeter, das sind 32 Raummeter.
Wenn man annimmt, dass dieser Baumkoloss im Durchschnitte per Jahr 0,5 c/m
an Stammstärke zugenommen habe, so besäße derselbe gegenwärtig
ein Alter von 328 Jahren und müsste um die Mitte des 16. Jahrhunderts
gepflanzt worden fein. Dass Marschendorf um diese Zeit protestantische Seelsorger
hatte, ist bekannt, und dass im Jahre 1568 hier eine hölzerne Kirche
erbaut wurde, erfahren wir von dem ehemaligen Schulmeister Simon Weimar in
Marschendorf. Es kann also angenommen werden, dass die Linde einem althergebrachten
Gebrauche gemäß um dieselbe Zeit gesetzt worden sein mag. ? Bemerkt
sei noch dass dieser Baumriese, welcher von jedem Touristen mit geringer Mühe
besichtigt werden kann vor ungefähr 50 Jahren auf der Südseite oberhalb
des Wurzelstockes eine 70 c/m breite und 1,5 m/ hohe ausgefaulte Höhlung
hatte, welche von Kindern gern als bequemes Versteck aufgesucht wurde, wobei
es nicht selten zu allerlei Allotria zwischen den sich Verbergenden und den
Suchenden kam, weshalb der schöne stattliche Baum gefällt werden
sollte. Der damalige wahrhaft edle Kirchenpatron Berthold Graf von Aichelburg
aber ließ dies nicht zu, und alle wahren Naturfreunde werden dem Verewigten
dafür nur Dank wissen. Die erwähnte Höhlung hat sich im Laufe
der Zeit durch Ueberwallung der Rinde bis auf ein kleines Loch oberhalb der
Wurzeln geschlossen, und auch diese Oeffnung verengt sich von Jahr zu Jahr
immer mehr, so dass zu erwarten steht, dass der sonst gesunde Baum noch recht
lange erhalten bleibe und dem gefräßigen Zahne der Säge nicht
zum Opfer falle. Bevor eine Leichenhalle am Eingange des Friedhofes erbaut
worden, stellte man Verstorbene behufs ihrer Einsegnung unter den beiläufig
180 m/2 großen Blätterdom der Linde und trug die Todten hierauf
zu ihrer letzten Ruhestätte. Gegenwärtig beschirmt der mächtige
Baum zu gewissen Zeiten die Verkaufsbuden der Zuckerbäcker und Pfefferküchler
und verhindert, dass Gott Pluvius weniger Unheil unter ihren ausgelegten Süßigkeiten
anzurichten vermag.